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Rezension

Heroes Die

*Vorspann (kaum Story-Spoiler, nur Hintergrund)* In einer gar zu nahen Zukunft regiert der Kapitalismus die Welt. Die großen Medien-Konzerne unterliegen praktisch keiner Kontrolle mehr von staatlicher Seite; ein brutales Kasten-System hat sich gebildet, in dem die Bosse dieser Firmen ganz oben stehen.
‘Entertainment’ ist nun auf einer ganz anderen, höheren Ebene möglich als zuvor. Neben dem Universum, in dem die Erde existiert, gibt es unzählige andere; eines von ihnen ist Overworld (Drübenwelt). Eine Beschreibung von Drübenwelt mag für viele Leser klingen wie der Fiebertraum eines Fantasy-Autors, denn genau dem entspricht Overworld: Magie existiert dort, ebenso wie Magier, Könige, Elben und andere nichtmenschliche Wesen. Mittelerde, Midkemia, Osten Ard, Nehwon... Overworld gliedert sich nahtlos in diese Anreihung ein.
Die oberen Bürger auf der Erde erkannten das Potential, das in Overworld steckte. Statt diese Welt für Rohstoffe auszubeuten, wie es bei vielen anderen Parallel-Universen geschehen war, wurde eine neue Technik entwickelt, und ein neuer Berufszweig entstand: Actors (Schauspieler). Diese Actors werden nach Drübenwelt geschickt und erleben dort - im wahrsten Sinne des Wortes - Abenteuer. Und die Massen auf der Erde können diese Abenteuer miterleben als wären sie selbst dort -- vorausgesetzt natürlich, sie zahlen dafür.
*/Vorspann*

markieren-> Hari Michaelson ist einer dieser Schauspieler. Auf Overworld wird er zu Caine, einem legendären Attentäter, immer unter den Top-Ten der Abenteuer-Bestenlisten. Eigentlich wollte er schon lange aufhören. Doch sein direkter Vorgesetzter, Administrator (Verwalter) Kollberg, zwingt ihn zu einem letzten Abenteuer. Shanna, seine von ihm getrennt lebende Frau, hat sich auf Drübenwelt in Schwierigkeiten gebracht. Hari - Caine - hat nur ein paar Tage, um seine Frau - in der Gestalt der Zauberin Pallas Ril - in Sicherheit zu bringen -- nach Ablauf dieser Frist wird sie unweigerlich sterben. Kollberg sieht die Chance seines Lebens in diesem Abenteuer. Hari will einfach nur seine Frau retten. Doch er stößt auf sehr viel mehr Widerstand, als er erwartet hätte, und um seinen Auftrag auszuführen, muss er den mächtigsten Mann auf Overworld töten, den Halbgott Ma’elKoth... <-markieren

‘Heroes Die’ ist - trotz, oder vielleicht gerade wegen, des Themas - nicht der übliche SFF- Unterhaltungsstoff. Es steht außer Frage, dass das Abenteuer auf seine Weise ungeheuer spannend und unterhaltsam ist... doch hinter dieser Ebene gibt es eine weitere. Er, der diese erblickt und ergründet, wird eine Aussage dort finden. Nichts sonderlich hohes, aber immerhin, ist selten genug in dem Genre zur Zeit.

Aber, nun, verlassen wir das für einen Moment und wenden uns trivialeren Dingen zu. Stovers Schreibstil ist... außergewöhnlich. Zwei, drei Seiten reichen, und schon knistert die Energie, schon ist man in der Welt, die beschrieben wird. Das kleinste Bisschen an ‘detachment’, das ich bei SFF sonst immer aufzubauen versuche, bricht schnell in sich zusammen. Den meisten geht es ähnlich, was man so hört, deshalb rate ich doch sehr davon ab, das Buch während Schule oder Arbeit zu lesen. Und wer gewohnt ist, am Abend vor dem Einschlafen ein, zwei Kapitelchen ‘zu sich zu nehmen’, wird, ohne es sich erklären zu können, plötzlich von einem Hahnenschrei von Overworld zurückgeholt werden. Die EU-Literaturminister warnen: ‘Heroes Die’ gefährdet die Gesundheit und alle zwischenmenschlichen Beziehungen, während man unter dem Bann des Romans steht.
Nur so, damit ihr später nicht sagen könnt, ich hätte euch nicht gewarnt .

Die Welt, die Stover hier aufgebaut hat, ist... faszinierend, um es mal mit den Worten eines gewissen spitzohrigen Individuums eines feindlichen Parallel-Univerums zu sagen. Auf der einen Seite die Erde, das unmenschliche Kastensystem, das von einer möglichen Realität gar nicht so weit entfernt ist, wie man hoffen mag. Auf der anderen Overworld, eine Fantasy-Welt so klassisch, wie sie klassischer nicht sein kann. Der Autor erkundet beide Welten gleichermaßen, und das auf eine Art, die dem Leser langsam, aber stetig, immer neue Informationen zukommen lässt, so dass er diese am Ende zwar hat, aber nicht weiß, wo sie herkommen. Eine wohltuende Abweichung von der üblichen weiser-Mann-erzählt-dummem-Bauernjungen-wie-die-Welt-funktioniert-Routine.

Charaktere. Caine, Hari, Shanna, Pallas, Lamorak, Ma’elKoth, Bern, Majesty (Majestät), Kollberg, Vilo... echte Persönlichkeiten, keine Super-Helden. markieren-> Caine ist eine Kampfmaschine, nicht sonderlich intelligent, aber effizient, der seine Stärken und Schwächen kennt und auch letztere als Waffen gegen seine Gegner einsetzen kann. Hari, ein Star mit einer schweren Vergangenheit, der im Verlauf des Buches feststellt, was ihm die ganze Zeit gefehlt hat. Bern, ein Mann, dem das Töten (auch und gerade Unschuldiger) Spaß macht, Lust bereitet, ein Mann mit gewissen pervertierten Vorlieben, ein Mann, wie er Caine ähnlicher nicht hätte sein können. <-markieren Sie und alle anderen stehen für etwas, das über reinen Unterhaltungswert und Charaktertiefe hinausgeht; letztendlich bleibt es an euch, das für was? festzustellen.

Und was bleibt mir? Am Schluss sage ich, dass das Buch seinem Titel gerecht wird... ‘Helden sterben’, wie wahr. Ich zitiere Matthew Stover aus einem Interview, das meiner Ausgabe des Romans beiliegt: “[‘Heroes Die’ is] a piece of violent entertainment that is a meditation on violent entertainment -- as a concept in itself, and as a cultural obsession. [...] It’s a book about all different kinds of heroes and all the different ways the die.”

(September 2002)

 

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